Stolpersteine 80 Jahre danach? Ein Bericht.

Stolpersteine 80 Jahre danach? Ein Bericht.

Stolpersteine 80 Jahre danach? Ein Bericht.

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Stolpersteine 80 Jahre danach? Ein Bericht.

Ellen Schnedler hat anlässlich des ‚Reichspogroms' 1938 an zwei Veranstaltungen teilgenommen – eine bei und mit Paulus, eine in der Schlossstraße. Hier ihr bewegender Bericht:

80 Jahre danach und immer noch Stolpersteine? Ein Bericht.

'Die Luft war still, als atmete sie kaum‘.. - wer kennt noch dieses Herbstgedicht?

So war das Wetter, als sich 24 ältere Menschen am 08. November um 10:30 Uhr vor der Dorfkirche von Lichterfelde trafen, um Stolpersteine zu putzen. Uschi Blaak und ihr Mann hatten alles bestens vorbereitet. Der Rundgang führte vom Hindenburgdamm über die Söhtstraße und die Dürerstraße bis zur Drakestraße. Während des Putzens schilderte Uschi die Lebensläufe der Ermordeten. Dann wurde eine weiße Rose niedergelegt und ihr Mann spielte auf der Klarinette ein zum Opfer passendes Musikstück – ein Arbeiterlied, ein Lied aus dem Gesangbuch oder ein jüdisches Lied.
Die vielfältigen Lebensläufe machten uns klar, welche Persönlichkeiten dem Nazi-Terror zum Opfer gefallen waren: Der Gewerkschafter Max Ebel, die jüdische Sachbearbeiterin Margot Prager, der Bezirksverordnete und Mitbegründer des Schlosspark-Theaters Otto Morgenstern, der Katholik Josef Wirmer, der nach dem Attentat auf Hitler Justizminister werden sollte, und viele jüdische Mitbürger. Der Spaziergang hinterließ 24 nachdenkliche Teilnehmer.

Am 9.November um 12:45 Uhr wurden dann sechs neue Stolpersteine vor dem Brillengeschäft in der Schlossstraße 28 verlegt. Die Besucherzahl war so groß, dass ich sie nicht zählen konnte. Nach dem Grußwort der Superintendentin des Kirchenkreises Steglitz, Frau Olearius, wurden die Stolpersteine für die Familie Gradenwitz unter Polizeischutz verlegt.

Carl Gradenwitz führte ab 1904 ein Schuhgeschäft in der Albrechtstraße in Steglitz und bezog mit seiner Frau Martha und den Kindern Ismar, Else, Gertrud und Hertha eine geräumige, gut-bürgerlich ausgestattete 4-Zimmerwohnung in der Schlossstraße 28. Noch vor dem Ersten Weltkrieg starb Carl, aber seine Frau führte das Schuhgeschäft weiter. Ismar fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg. Alle seine drei Schwestern wurden Schuhverkäuferinnen. Else heiratete und emigrierte mit ihrer Familie rechtzeitig nach Bolivien. Ihre jüngste Schwester Hertha folgte ihr 1938, ebenfalls verheiratet. Gertrud, die unverheiratet war, und als Schuhverkäuferin im KaDeWe arbeitete, wurde 1938 entlassen. Später musste sie Zwangsarbeit im Wernerwerk von Siemens leisten. Sie wurde am 6.März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Während die Stolpersteine verlegt und mit vielen weißen Rosen geschmückt wurden, berichteten Schüler der Evangelischen Schule von den Schicksalen der ehemaligen Hausbewohner. Auf die unausgesprochene Frage, wie die Nachbarn reagiert hätten und ob die Verfolgten von ihnen verraten wurden, erinnerte der Pfarrer der Matthäus-Gemeinde an Petrus, der den Herrn verleugnet, dies aber später bereut und bitterlich geweint hätte. Ob es den Mitbewohnern der Schlossstraße 28 auch so ging? 

Dann meinte der Pfarrer: „Heute müssen wir aufpassen, dass nicht eines Tages unsere Urenkel hier stehen und für uns Stolpersteine setzen müssen!“

Wir dürfen die Stolpersteine nicht vergessen, auch wenn der Nazi-Terror vor 80 Jahren vorbei war.

Ellen Schnedler

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