08/08/2024 0 Kommentare
500 Jahre EG: "Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist"
500 Jahre EG: "Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist"
# Musik bei Paulus
500 Jahre EG: "Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist"
500 Jahre Evangelisches Gesangbuch: Im Rahmen unserer Reihe anlässlich dieses Jubiläums sucht unsere Kantorin jeden Monat ein Lied aus und kommentiert es.
Hier das Mai-Lied:
Könnte ich eine Zeitreise in die Vergangenheit machen, so dürfte Wittenberg während der 1520er Jahre nicht fehlen. Gern würde ich Luther und seinen Mitstreitern über die Schulter schauen, während sie eifrig Lieder sammelten, sichteten, bearbeiteten und neu schrieben, um erstmalig in der Kirchengeschichte ein Gesangbuch mit deutschen Kirchenliedern zu verfassen. Sollte die Reformation dauerhaft Erfolg haben, brauchte es nach ihrer Überzeugung nicht nur eine neue Gottesdienstordnung in deutscher Sprache, sondern auch Lieder, über die sich die Botschaft von der Erlösung allein durch Glauben und Gnade in den Kirchen, aber auch in den Familien und Schulen schnell verbreiten würde. Luther liebte Musik und wusste um ihre Kraft. In seinen berühmten Tischreden findet sich unter anderen folgender Ausspruch: "Die Musik ist das größte, ja wahrhaft ein göttliches Geschenk [...]. Denn durch sie werden viele und große Anfechtungen verjagt.“
Von den 43 in das erste evangelische Gesangbuch aufgenommenen Liedern stammen allein 24 von Luther. Dass er diese große Zahl von Liedern in so kurzer Zeit und bei seinem täglichen Arbeitspensum nicht sämtlich neu schreiben konnte, liegt auf der Hand. Luther, sein Kantor Johann Walter und die anderen Mitstreiter wandten daher häufig die Methode der Kontrafaktur an, bei der einer bestehenden (meist weltlichen) Melodie ein neuer, geistlicher Text unterlegt wird. Eine andere Möglichkeit bestand darin, ursprünglich lateinische Liedtexte ins Deutsche zu übertragen und gegebenenfalls weitere Strophen hinzuzudichten.
Das Pfingstlied Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geist geht auf den lateinischen Hymnus Veni creator spiritus aus dem Jahr 809 zurück und wurde von Luther ins Deutsche übertragen und bearbeitet, ebenso wie die um das Jahr 1000 entstandene Melodie. Aus heutiger Hörgewohnheit wirkt sie mit dem Haltepunkt am Ende jeder Verszeile trotz ihres relativ großen Tonumfangs etwas monoton. Auch, dass Wortakzent und musikalischer Akzent eher zufällig einmal zusammenfallen, kommt uns heute beim Singen holprig vor. Doch gerade diese Unzulänglichkeiten sind ein Beleg für die Neuartigkeit des Unterfangens, Kirchenlieder in deutscher Sprache zu dichten und zu singen. Und es ist wohl nicht zuletzt dieser Geist des Neuen und des Aufbruchs, der den Liedern auch nach 500 Jahren noch eine eigentümliche Kraft verleiht.
Dr. habil Cordelia Miller
Kantorin der Paulus-Kirchengemeinde Berlin-Lichterfelde
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